Der nationale Kampf 1864-1920
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbreitete sich überall in Europa das Nationalgefühl. Die Bevölkerungen begannen, sich zu einer Nation zugehörig zu fühlen, die als ein Volk mit gemeinsamer Kultur, Geschichte und Sprache verstanden wurde. Man fühlte sich miteinander verwandt und baute eine gemeinsame nationale Identität auf.
Die Idee, dass nicht Fürstendynastien, sondern Sprache, Kultur und gemeinsame Lebensweise Bindeglied der Bevölkerungen waren, entstand bei dem deutschen Philosophen Johann Gottlieb Herder Ende der 1770er Jahre. Er betrachtete diese Erscheinungen als Ausdruck einer tieferliegenden „Volksseele“, die jedes Volk von Gott erhalten habe. Daher sei es auch das Recht jeden Volkes, seine Geschicke selbst zu bestimmen. Jede Nation habe das Recht, einen eigenen Staat zu bilden.
Mit den Revolutionen des Jahres 1830 in Frankreich und Belgien kamen auch im dänischen Gesamtstaat Nationalgefühle auf. Aber diese Nationalgefühle waren verschieden. Die liberalen Kräfte in Dänemark fühlten eine Zusammengehörigkeit mit den übrigen skandinavischen Ländern. Das Motto war: Dänemark bis zur Eider. Schleswig sollte enger mit Dänemark verbunden werden, während Holstein und Lauenburg von der Monarchie getrennt werden sollten. Viele in Schleswig stimmten den dänischen Liberalen zu, während andere sich der schleswig-holsteinischen Bewegung anschlossen, die ein selbstständiges Schleswig-Holstein forderte. Holstein und Lauenburg gehörten im Gegensatz zu Schleswig zum Deutschen Bund.
Die französische Revolution von 1848 setzte die Ereignisse in Gang. Die Kopenhagener Bürgerschaft verlangte und erhielt eine freie Verfassung. Dieses Junigrundgesetz galt nur für das Königreich Dänemark. Die nationalen Kräfte in Schleswig-Holstein verlangten eine Verfassung für die Herzogtümer sowie die Aufnahme Schleswigs in den Deutschen Bund. Der Erste Schleswigsche Krieg, ein Bürgerkrieg, brach aus. Er dauerte drei Jahre und endete mit einem beschiedenen dänischen Sieg. Die Großmächte intervenierten. Das Ergebnis war das Londoner Protokoll von 1852. Der Gesamtstaat wurde wiedererrichtet und Schleswig durfte nicht enger mit Dänemark verbunden werden als Holstein.
Doch dadurch wurden die Probleme nicht gelöst. Die dänischen und schleswig-holsteinischen Standpunkte in der Frage der Regierung der Herzogtümer waren miteinander unvereinbar. Dies führte dazu, dass die dänische Regierung die Eiderpolitik wieder aufnahm. 1863 beschloss die dänische Regierung die Novemberverfassung, eine gemeinsame Verfassung für das Königreich Dänemark und das Herzogtum Schleswig, während Holstein eine eigene Verfassung, ein eigenes Heer und eine eigene Verwaltung versprochen wurde. Dies war ein Bruch des Londoner Protokolls. Dänemark war auf Kollisionskurs mit den Schleswig-Holsteinern und einer Reihe deutscher Staaten gegangen. Preußen forderte in einem Ultimatum die Aufhebung der Novemberverfassung. Als dem nicht nachgekommen wurde, brach der Krieg aus. Der Krieg führt zum Zerbrechen des Gesamtstaates. Schleswig, Holstein und Lauenburg wurden an eine gemeinsame preußisch-österreichische Verwaltung abgetreten. Nach einem weiteren Krieg, zwischen Preußen und Österreich, wurden die Herzogtümer 1867 dem Königreich Preußen einverleibt.
Während die Schleswig-Holsteiner sich schnell damit abfanden, preußische Staatbürger zu sein, hielten die dänisch gesinnten Nordschleswiger an ihrer nationalen Einstellung fest. Die dänisch Gesinnten mussten sich nun darauf einstellen, nicht mehr Teil einer Nationalbewegung zu sein, sondern eine nationale Minderheit.
Hauptziel der preußischen Politik war es bis Ende der 1870er Jahre, die dänisch gesinnten Nordschleswiger als loyale Staatsbürger zu integrieren. Die Unterdrückung durch die Polizei richtete sich gegen kritische Stimmen sowie die sogenannten Optanten, die sich entsprechend dem Friedensvertrag von 1864 für eine dänische Staatangehörigkeit entschieden, um der Wehrpflicht zu entgehen. Die dänische Nationalität selbst wurde vom preußischen Staat nicht bekämpft.
Die Unterdrückung der dänischen Minderheit begann zunächst auf dem sprachlichen Gebiet. Die Sprache war für die Preußen wie für die Dänen gleichbedeutend mit Nationalität. 1876 wurde Deutsch zur einzig zugelassenen Verwaltungssprache. Und zwei Jahre später wurde Deutsch als Unterrichtsprache für die Hälfte der Stunden in der Volksschule eingeführt. Ab 1888 wurde nordschleswigsche Kinder ausschließlich auf Deutsch unterrichtet.
Diese Initiativen führten jedoch nicht zur gewünschten Germanisierung von Nordschleswig und ab Ende der 1890er Jahre verschärften die Preußen die Unterdrückung der dänischen Minderheit. Dänische Staatsbürger, sowohl eingewanderte Arbeitskräfte als auch in Schleswig wohnende Optanten, wurden ausgewiesen. Die dänischen Vereine wurden bekämpft, während die deutschen Vereine und die deutsche Presse in Nordschleswig Zuschüsse erhielten.
Druck erzeugte Gegendruck. Eine nationale Mobilisierung wurde eingeleitet. Die Reaktion war die durchgreifende Organisierung der dänischen Minderheit. Das Ziel war, das Dänentum in Nordschleswig zu erhalten und wo möglich zu stärken. Die Organisierung erfolgte teils auf Landesebene, teils auf örtlicher Ebene.
Die Foreningen til det danske Sprogs Bevarelse i Nordslesvig (Verein zur Erhaltung der dänischen Sprache in Nordschleswig) wurde 1880 als kulturelle Hauptorganisation gegründet. Sie richtete lokale dänische Bibliotheken ein und gab Den Blå Sangbog (Das Blaue Gesangbuch) sowie einen Almanach des Vereins heraus. Insbesondere das Blaue Gesangbuch war den preußischen Behörden ein Dorn im Auge, denn es enthielt vaterländische Gesänge sowie Lieder, welche die unglückliche Situation von Nordschleswig beschrieben. Deren Haltung war, dass das Blaue Gesangbuch das gefährlichste Agitationsmittel der dänisch Gesinnten sei.
1888 wurde die Vælgerforeningen for Nordschleswig (Wählerverband für Nordschleswig) gegründet. Dies war die politische Partei der dänisch gesinnten Nordschleswiger. Der Wählerverband stellte Kandidaten zu Landtags- und Reichstagswahlen auf, führt Wahlkämpfe und hielt Versammlungen und Kurse ab. Vier Jahre später wurde Den nordslesvigske Skoleforening (Der nordschleswigsche Schulverein) gegründet. Sein Ziel war die Erwachsenenbildung sowie Unterricht der Kinder und Jugendlichen in der Muttersprache. Hierzu erhielten die jungen Nordschleswiger Zuschüsse für Aufenthalte in dänischen Jugendheimvolkshochschulen und Heimvolkshochschulen sowie in Landwirtschafts- und Haushaltsschulen.
Lokal gründete man vielerorts dänische Vortragsvereine. Und als die preußischen Behörden versuchten, die dänische Versammlungstätigkeit zu verhindern, indem sie Druck auf die Inhaber der Gaststätten ausübten, errichteten die dänisch Gesinnten Versammlungshäuser. Hier wurde nach dänischem Vorbild eine ganz neue Form der Versammlungen eingeführt, die aus Vorträgen, Vorlesungen, gemeinsamen Gesängen und Kaffeetafeln bestand. Die Versammlungshäuser wurden Zentren einer dänischen Gegenkultur.
Die Kongeå bei Foldingbro ungefähr 1920.
Foto: Det Kongelige Bibliotek.
Die nationale Einstellung der dänischen Minderheit wurde in den Gegenständen ihrer Umgebung zum Ausdruck gebracht. Da die Nordschleswiger nicht die dänische Flagge, den Dannebrog, hissen durften, erhielten die rot-weißen Farben eine besondere Bedeutung. Man baute Häuser mit weißem Kalkputz und roten Ziegelornamenten, legte Blumenbeete in rot-weißen Farben an usw. Im Innern der Häuser konnten Kaffeetassen mit dem Dannebrog, eine Porzellanfigur der Skulptur Modersmålet auf dem Kaminsims oder das Bild De Sønderjyske Piger an der Wand zeigten, wo man in nationaler Hinsicht stand. Im Buchregal lag die Flensborg Avis neben dem Almanach des Sprachvereins und dem Blauen Gesangbuch.